Deutsche Oper: Anna Bolena © Bettina Stöß
Bettina Stöß
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Deutsche Oper Berlin - "Anna Bolena" von Gaetano Donizetti

Bewertung:

Saftig, trotzdem ungewöhlich besetzt präsentiert sich die vor zwei Jahren in Zürich herausgekommene, von dort eingekaufte "Anna Bolena", inszeniert von David Alden. Ein praller Diven-Vorwand war das Werk schon immer. Um eine Liebesgeschichte aufzupropfen, wärmt das Libretto eine Jugendaffaire auf. Außerdem endet die zweite Ehefrau Heinrichs VIII., noch bevor sie geköpft wird, im Wahn. Italienisches 19. Jahrhundert halt, wie wir es lieben.

Federica Lombardi indes, die Sängerin der tragischen Heldin, ist die erste ausgeprägt lyrische Sängerin, die mir in dieser Rolle überhaupt begegnet ist. Elegant, schlank und schön, als wär’s eine Julianne Moore der Oper, verfügt sie über einen eiklaren, leicht süßlichen Sopran. Und ist damit ein entschiedenes Gegenmodell zu früheren Sängerinnen der Rolle – wie Anna Netrebko oder Maria Callas, die viel dramatischer sangen. Auch Edita Gruberová, die von der Koloratur her kam, machte das gänzlich anders. Das allein schon, man muss es sagen, sichert der Aufführung einen hohen Wert.

Großartig besetzte Aufführung

René Barbera als Percy ist etwas dickblütiger, Vasilisa Berzhanskaya als Jane Seymore stupend (noch besser als in ihren Rossini-Rollen). Dann gibt es noch Riccardo Fassi als gar nicht kugelrunden Heinrich VIII. Alle singen sehr schlackenlos und schön. Die Aufführung ist von vorne bis hinten großartig durchbesetzt. So wird der Komponist einem überfälligen Veredelungsprozess unterzogen. Nichts mehr von "dirty old Donizetti". Er ist sauber geworden.

Deutsche Oper: Anna Bolena © Bettina Stöß
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Milde walten lassen muss man wahrscheinlich in Bezug auf die Inszenierung des früheren Britpoppers David Alden, welcher sich die Hörner inzwischen abgestoßen hat. Es ist schwierig, für dieses Repertoire größere Regisseure zu gewinnen. Den Dreieinhalbstünder stellt Alden verlässlich durch. Die Kamine sind rollbar. Gigantische Holzvertäfelungen fliegen durch die Luft. Kann alles wegbewegt werden. Eine durch die Aufführung geisternde "Kleine Elisabeth I." (als Kind!, sie war die Tochter von Anne Boleyn) vermittelt den Eindruck eines Pseudoansatzes. David Alden, glaube ich, hat nichts zu sagen. Sagt das aber direkt.

Deutsche Oper: Anna Bolena © Bettina Stöß
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Erstaunlicher Belcanto-Relaunch

Dirigent und "Belcanto-Spezialist" Enrique Mazzola hat der Deutschen Oper schon aus mancher Grand-opéra-Verlegenheit geholfen. Für das Problem, dass mit modernen Orchestern der ganze Instrumentalsatz bei Donizetti wie eine Bohnerwachsunterlage erscheint, weiß auch er keine Lösung. Den Chor der Deutschen Oper dagegen habe ich lange nicht so gut gehört.

Im Monat des 100. Geburtstages von Maria Callas – eine Sängerin, welcher die Wiederentdeckung von "Anna Bolena" 1957 zu verdanken war – sei eingeräumt: Ein Feuermelder, wie die Callas es war, fehlt der Aufführung. Stattdessen ist Federica Lombardi eine lyrische Leuchte, durchaus italienisch, die hier für einen ganz erstaunlichen Belcanto-Relaunch sorgt. Endlich.

Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur

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