Buchcover: Hanno Hochmuth - Berlin: Das Rom der Zeitgeschichte, Quelle: Ch. Links Verlag
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Eine topografische Zeitreise durch Berlin - Hanno Hochmuth: "Berlin. Das Rom der Zeitgeschichte"

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Hanno Hochmuth ist Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und lehrt "Public History" an der Freien Universität Berlin. Er hat Bücher zur Stadt- und Zeitgeschichte Berlins im 20. Jahrhundert veröffentlicht, Kiez-Geschichten über Friedrichshain und Kreuzberg im geteilten Berlin gesammelt und eine Buch über die Besetzung und Räumung der Mainzer Straße in der Wendezeit herausgegeben. Sein neues Buch heißt "Berlin. Das Rom der Zeitgeschichte".

Der Titel "Berlin. Das Rom der Zeitgeschichte" stellt eine These auf, die nicht jeder Historiker, Politik- und Kulturwissenschaftler teilen wird: dass Berlin im 20. Jahrhundert in den Mittelpunkt des Weltgeschehens rückte und die politische, wirtschaftliche, kulturelle Entwicklung der Moderne entscheidend geprägt, wenn nicht gar bestimmt hat.

Von Berlin gingen zwei Weltkriege aus. In Berlin hat sich der Kalte Krieg zugespitzt und ist mit dem Fall der Mauer wieder in sich zusammengebrochen. Berlin mit dem historischen Rom auf eine Stufe zu stellen, ist gewagt: Rom war das Zentrum eines Weltreiches, hier wurden juristische Grundlagen, philosophische Entwürfe und kulturelle Ideen geboren, die bis heute gültig sind. Rom führte - anders als Berlin - keine Vernichtungskriege und beging keinen Massenmord an Andersdenkenden und Menschen anderer Religionen.

Berlin als "Gernegroß"

Berlin scheint eher ein Gernegroß, der sich sich für bedeutender hält als er in Wirklichkeit ist, der seine Minderwertigkeitskomplexe als junge Stadt in einem spät gegründeten Nationalstaat immer wieder in Aggression und Krieg austobte. Der Berlin-Beschreibung stünde weniger Großspurigkeit und mehr Demut gut zu Gesicht.

Um seine Argumentation abzustützen, greift Hochmuth in die große Mythen-Schublade und zitiert US-Präsident John F. Kennedy herbei, der kurz nach dem Mauerbau bei seiner legendären Rede (Juni 1963) vor dem Schöneberger Rathaus die freien Bürger West-Berlins als Nachfahren der freien Bürger Roms bezeichnete und ihnen zurief: "Ich bin ein Berliner."

"Schon Kennedy", folgert Hochmuth, "erklärte Berlin also zum 'Rom der Zeitgeschichte.'"

Das stimmt natürlich nicht und wird auch nicht plausibler, wenn er gleich im nächsten Satz kleinlaut zugibt: "Der eigentliche Schöpfer des Begriffs ist jedoch der ehemalige Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz", der im Herbst 2010 den 28. Historikertag an der Humboldt-Uni Berlin in seinem Grußwort "Berlin als Rom der Zeitgeschichte" bezeichnete und damit die historische, politische, kulturelle Bedeutung der Stadt unterstreichen wollte. Schmitz hat damit der finanziell klammen Stadt ein tolles Stichwort für die Selbstvermarktung als aufregende und bedeutende Metropole geliefert und das Bild einer Stadt entworfen, in der man unbedingt gewesen sein muss, wenn man sich selbst für wichtig hält und an seinem kreativen Image feilt.

Stadterkundungen an 51 Orten - vom Jüdischen Friedhof in Weißensee bis zum Humboldt Forum

Aber der große Streit um die politisch-historischen Dimensionen ist auch nur Vorgeplänkel für Hochmuths Stadterkundungen: Er fotografiert Gebäude, Straßen, Museen und Denkmäler, beschreibt, wie sich an diesen Orten Berliner Geschichte widerspiegelt. Er wählt 51 Orte aus, unterteilt seine Spaziergänge und Erkenntnisse in 17 Kapitel. Eines heißt "Das Chicago an der Spree", ein anderes "Das Steinerne Berlin", es gibt "Das neue Berlin" und "Babylon Berlin", "Das Rote Berlin" und "Das Jüdische Berlin", "Die Reichshauptstadt" und "Die Frontstadt", "Die Stadt der Freiheit", "Die Hauptstadt der DDR", die "Stadt des Friedens", das "Biotop Berlin" und "Die Berliner Republik".

Zu jedem Kapitel skizziert er drei Episoden: Um uns "Das Jüdische Berlin" näher zu bringen, besucht er den Jüdischen Friedhof in Weißensee, erinnert an ein Pogrom auf dem Kurfürstendamm und beschreibt mit einem Stolperstein in der Choriner Straße das Schicksal der Familie Najman.

Wenn er Schlaglichter auf "Die Frontstadt" wirft, schaut er sich den "Kleiderbügel" bzw. die "Hungerharke" am Flughafen Tempelhof an, stapft zum "Ohr der Welt" auf den Teufelsberg hinauf und erinnert an die Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie. Um das Selbstbild der DDR als "Stadt des Friedens" zu zeichnen, irrt er durch die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, besucht die Friedensbibliothek und das Antikriegsmuseum in Bartholomäuskirche und schüttelt den Kopf über das zum sozialistischen Disneyland verwandelte Nikolaiviertel.

Er schlendert durch die Platte in Hellersdorf. In der Mainzer Straße erinnert an den kurzen Sommer der Anarchie, in der Bernauer Straße an die Todesschüsse an der Mauer. Er flaniert die East Side Gallery entlang, besucht das Holocaust-Mahnmal und beendet seine Stadt-Spaziergänge am Humboldt Forum und sieht es als Ort der überfälligen Debatte über den schwierigen Umgang mit geraubten Kunstwerken und den Verirrungen der Geschichte.

Unterhaltsam, aber oberflächlich

Berlin-Bücher gibt es wie Sand am Meer. Dass wir Hochmuths Buch vermisst hätten und seine Beschreibungen eine Lücke füllen, kann man nicht behaupten. Fast alles, was er fotografiert und beschreibt, haben andere vor ihm auch schon ähnlich getan. Über die den Zuckerbäckerstil in der ehemaligen Stalinallee ist alles gesagt, die Hufeisensiedlung als Vorzeigeprojekt des sozialen Wohnungsbaus ist schon tausendmal beschrieben worden. Von der Gründung der Freien Universität in Zeiten des Kaltes Krieges über die Mitbestimmung in den Uni-Gremien ist es für Hochmuth nur ein Katzensprung zur Radikalisierung der Studentenbewegung, zu den Problemen der FU, sich nach der Wende einer Fusion mit der Humboldt-Uni zu widersetzen und sich als Wissenschaftsstandort zu behaupten: Schon sind drei Seiten geschrieben und ist ein weiteres Thema abgehandelt.

Vieles ist nur unterhaltsames, oberflächliches Geplauder - ohne besonderen intellektuellen Mehrwert. Das Buch gleicht einer Stehparty, bei der es viele Appetithäppchen gibt, die einen aber nicht satt machen und das Bedürfnis nach einer richtigen Mahlzeit wecken. Oder nach einem wirklich guten und wichtigen Buch.

Frank Dietschreit, rbbKultur