Staatsoper: The Timeless Moment © Gianmarco Bresadola
Gianmarco Bresadola
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Staatsoper unter den Linden - "The Timeless Moment"

Bewertung:

"The Timeless Moment" - also "Der zeitlose Augenblick" - dieser Titel hat mit der Musik der hier vorkommenden beiden Komponisten durchaus etwas zu tun. Für Claude Debussy war Musik "rhythmisierte Zeit". Die Spektralmusik von Tristan Murail basiert auf der Vorstellung "gestreckter Zeit". Beide Komponisten widersetzen sich herkömmlichem musikalischem Erzählen. Entsprechend – man kennt das von Debussys Tondichtung "La mer" her – scheint die Zeit still zu stehen. Und das ist gerade das Schöne.

Natürlich wollen Regisseurin Silvia Costa und Pianist Alain Franco Genregrenzen sprengen – wie fast alle zeitgenössischen Theaterleute. In Wirklichkeit besteht der einstündige Abend des "Szenischen Konzerts" einfach aus einem guten Dutzend Debussy-Klavierwerken (aus "Préludes", "Suite Bergamasque", "Images oubliées" etc.) und zwei Werken von Tristan Murail ("Cloches d’adieu et un sourire" sowie "Territoires de l’oubli"). Wir sitzen auf Kissen oder Höckerchen verteilt im Raum, herum um eine tiefblau vernebelte Spielfläche. In der Mitte: sieben flach-runde Wasserbassins, deren Wasserspiegel von der Musik elektrisch in Vibration versetzt werden.

Jetzt fehlt nur noch die Protagonistin. Für 20 Minuten wandelt die, so heißt es im Programmheft: "geburtsblinde" Fanny Däuper – mit verschleiertem Imkerhut und Schmetterlingscatcher als Blindenstab – zwischen den Teich-Rondells einher. Sie teilt uns ihre Assoziationen mit. Da zwitschern Vögel. Da "plätschert" es "vor sich hin". Schlussendlich singt sie eine Vokalise. Womit wir allerdings dann hart am Kitsch gelandet wären.

Staatsoper: The Timeless Moment © Gianmarco Bresadola
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Raus aus der Verkrustungen der Gegenwartsmusik

Eigentlich lässt das Thema wenig zu wünschen übrig. Debussy steht am Anfang einer sehr eigenständigen musikgeschichtlichen Entwicklung, die über Messiaen zu eben jenen Spektralisten führt, von denen Tristan Murail (neben Gérard Grisey) ein Hauptvertreter ist. Die Richtung bildet eine reelle Alternative zum Wagner-Strang, obwohl dieser in der Musikgeschichte gern als alternativlos angesehen wird (und – vom "Tristan" her – in die Atonalität führt). Er ist gar nicht genug zu loben, wenn man aus den Verkrustungen der Gegenwartsmusik herauskommen will. Hier wird er allerdings eher in einem atmosphärischen Nichts erstickt. In szenischer Nettigkeit.

Verschenkte Chancen

Alain Franco am Klavier spielt Debussy und Murail gewiss gut; aber – angesichts der akustischen Trockenheit im Alten Orchesterprobensaal (im Intendanzgebäude der Staatsoper) – auch etwas klumpig und zu traditionell. Im Publikum am Boden saß unter anderem der Pianist Pierre-Laurent Aimard. Ich stellte mir ständig vor, welche Wunder an Räumlichkeit dieser hier hätte evozieren können. Der ganze Abend ist hübsch und ephemer. Erfrischend unprätentiös teilweise (denn er verrätselt nicht obendrein). Dass viel hängenbleibt, kann ich mir trotzdem nicht recht vorstellen. Die verschenkten Chancen überwiegen.

Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur