Kirill Petrenko © Chris Christodoulou
Chris Christodoulou
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Philharmonie Berlin - Jahresauftakt: Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko

Bewertung:

Die Berliner Philharmoniker sind mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko ins neue Jahr gestartet – und das mit einem ungewöhnlichen Programm: die 1. Sinfonie von Henri Dutilleux und die Tanzpantomime "Der holzgeschnitzte Prinz" von Béla Bartók.

Das Publikum hat sich weder von dem ungewöhnlichen Programm noch vom Blitzeis abschrecken lassen – die Philharmonie war ausverkauft. Offensichtlich die richtige Strategie von Kirill Petrenko, auf Entdeckungen zu setzen.

Man darf nicht vergessen: Der Dirigent hat bei den Berliner Philharmonikern seine erste Chefstelle bei einem Sinfonieorchester nach Leitungspositionen an Opernhäusern. Und so muss er sich ein Repertoire erst noch zusammenstellen und kann nicht auf schon Erprobtes zurückgreifen wie etwa sein Vorgänger Simon Rattle.

Der Eigenwillige

Die erste Sinfonie von Henri Dutilleux – überhaupt zum ersten Mal auf einem Programm der Berliner Philharmoniker – ist eines der zentralen frühen Werke des Komponisten – und eines der wenigen, die er hat gelten lassen. Dutilleux hat, obwohl er fast hundert Jahre alt wurde, sehr wenige Werke hinterlassen.

Mit dieser Sinfonie hat er eine klare Entscheidung getroffen – kein Mitgehen mit der damals vorherrschenden Avantgarde, sondern eine eigenwillige Mischung aus Strenge und Traditionsbewusstsein und einer Farbigkeit, die geradezu unberechenbar wirkt. Da holt jemand erst einmal seine Rechenmaschine raus, kippt dann aber Öl hinein – und wie durch ein Wunder fühlt man sich in eine Wellness-Oase versetzt.

Viel Vitamin C

Das ist natürlich genau das Richtige für Kirill Petrenko. Formstrenge kann er ohnehin, das Ergebnis ist auch entsprechend geschliffen scharf, die Kontrollfanatiker überlässt nichts dem Zufall. Das ist wie mit einer Wasserwaage abgezirkelt.

Aber es bleibt nicht bei der Präzision. Die Musik bekommt Süffigkeit und emotionale Tiefe. Das hat den Vitamin-C-Gehalt einer ausgequetschten Apfelsine. Und es lässt das Stück in den schönsten Farben diamanten funkeln – genau das Richtige gegen den Winterblues.

Pflege für die Gehörgänge

Béla Bartóks Tanzpantomime "Der holzgeschnitzte Prinz" ist zunächst einmal eins: großbesetzt, und das so richtig. Die Bühne ist so voll, da könnte man Platzangst bekommen. Und das muss auch so sein – Bartók spart nicht mit Effekten, fährt eine riesige Kalorienbombe auf, und da bekommt man Angst, denn Petrenko ist dafür bekannt, gerne mal zu überziehen.

Hier aber: nichts davon – welch Raffinesse im Klang, das ist beste Pflege für die Gehörgänge. Natürlich wuchtig, aber extrem durchleuchtet. Eine Wärme wie bei drei übereinander gezogenen Wollpullis, aber dann wieder ganz feine Zuckerstreusel draufgeweht. Und auch an den skurrilen Momenten hatten alle Spaß: Dirigent, Orchester – und Publikum.

Erfolg jenseits des Mainstreams

Offenkundig hat Kirill Petrenko seinen Weg gefunden: Repertoire abseits des Mainstreams. Nichts gegen seine Aufführungen von Standardwerken – da gab es zahlreiche große Momente. Aber mit selten Gespieltem holt er die Philharmoniker aus ihrer Komfort-Zone.

Da müssen sie sich auf Neues einlassen – und sie wachsen wie hier über sich hinaus. Orchesterqualität vom Feinsten, Virtuosität ohne Grenzen, alles unter Hochglanz – wie die Auslage eines guten Juweliergeschäfts. Das Erfolgsrezept für die Philharmoniker? Auf jeden Fall war das eines der besten Konzerte unter Petrenko überhaupt.

Andreas Göbel, rbbKultur