Morgen ist auch noch ein Tag © TOBIS Film GmbH
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Komödie - "Morgen ist auch noch ein Tag"

Bewertung:

Dieser Film hat in Italien Zuschauerrekorde gebrochen: Mit 5,5 Millionen Zuschauern ist "Morgen ist auch noch ein Tag", das Regiedebüt der Schauspielerin Paola Cortellesi, dort sogar an den Kassenstars "Barbie" und "Oppenheimer" vorbeigezogen. Offensichtlich hat dieser schwarzweiße Film über eine stille weibliche Selbstermächtigung im Land des Latino-Machismo einen Nerv getroffen.

"Morgen ist auch noch ein Tag" erzählt eine Familiengeschichte, die in der Nachkriegszeit in Italien spielt, in einfachen Verhältnissen in der mittelitalienischen Region Latium. Delia ist Ehefrau, Hausfrau und Mutter von drei Kindern - einer fast erwachsenen Tochter und zwei schwer zu bändigenden kleinen Jungs.

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Konsequent weibliche Perspektive

Der Film ist ganz konsequent aus ihrer Perspektive erzählt. Schon morgens beim Aufwachen kassiert sie als Reaktion auf ihr freundliches "Guten Morgen" von ihrem Mann grundlos die erste schallende Ohrfeige. Und dann folgen unablässig weitere Zumutungen: die Hektik des Haushalts, die Demütigungen ihres Mannes, die Kommandos ihres bettlägerigen Schwiegervaters, dazu noch eine Reihe kleiner Nebenjobs, Näharbeiten, häusliche Pflege, Regenschirme reparieren. Und die paar Lire, die sie dafür bekommt, muss sie natürlich bei ihrem Mann abliefern, der das Geld in Kneipen und Bordellen verprasst.

Auf Schritt und Tritt bekommt Delia zu spüren, dass sie als Frau weniger wert ist, schlechter bezahlt wird, keine Rechte hat, keinen Dank verdient und dass ihre Meinung nicht zählt.

Gesamtgesellschaftliche Dimensionen

Allein schon ein an sie adressierter Brief ist da ein unerhörtes Ereignis, von dem ihr Mann tunlichst nichts erfahren sollte. Was in dem Brief steht, bleibt lange ein Geheimnis, das erst am Ende des Films in einem furiosen Finale gelüftet wird - einer von vielen raffinierten Kunstgriffen des Films: Könnte es der Brief eines Verehrers sein, eine Einladung durchzubrennen? Man würde es Delia wünschen, doch in Wirklichkeit hat der Brief viel größere und gesamtgesellschaftliche Dimensionen.

Stille, aufrechte Würde

Häusliche Gewalt, Diskriminierung, Ausbeutung: Delia steht unter der Fuchtel all der Männer um sie herum. Bisweilen mutet dieses Kräfteverhältnis mittelalterlich an, obwohl es bis heute in Italien weitverbreitet ist. Doch Paola Cortellesi unterläuft dieses Prinzip in der Art, in der sie ihren Film inszeniert und Widerhaken einbaut, aber auch in der Art, wie sie Delia spielt, ihr eine stille, aufrechte Würde verleiht. Ihre Delia ist keine rebellische Heldin, sie nimmt die Situation als gegeben hin, entschuldigt die Gewalttätigkeit ihres Mannes sogar, der habe ja schließlich zwei Kriege erlebt, der müsse halt mal Dampf ablassen und dann sei alles wieder gut.

Doch wenn es um ihre fast erwachsene Tochter geht, wird klar, dass sie sich ihrer Situation bewusst ist und viel riskiert, damit es ihr einmal besser gehen wird. Als Marcella eine scheinbar gute Partie in Aussicht hat, bohrt sie nach: "Du musst deinen Mann umsichtig wählen, ist Julio der richtige?" und muss sich dem Vorwurf ihrer Tochter aussetzen, die nicht versteht, warum sie selber alles so widerspruchslos geschehen lässt. Sich selbst hat Delia aufgegeben, doch für die Zukunft ihrer Tochter kämpft sie.

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Traditionen des Neorealismus und moderne Selbstermächtigung

Der Film bildet eine bittere Realität ab und unterläuft sie zugleich. Das kontrastreiche Schwarzweiß, in dem das Italien der 40er Jahre, das nach dem Krieg langsam wieder zu wuselndem Leben erwacht, eingefangen ist, erinnert an die Filme des italienischen Neorealismus, die immer mal wieder auch zitiert werden. Und die von Paola Cortellesi gespielte Delia erinnert in ihrer zähen Widerstandskraft an die Frauen, die damals von Stars wie Anna Magnani oder Sofia Loren gespielt wurden. Aber in ihr Regiedebüt hat Cortellesi viele kunstvolle Brechungen eingebaut - über die Kamera, die Delia in einem kurzen Moment des Glücks umkreist, über die Musik, romantische Schlager, aber auch wütende Rapsongs, die den Bildern widersprechen und eine fast märchenhafte Note reinbringen. Das geht soweit, dass sich die Gewaltausbrüche ihres Mannes in Zeitlupe in eine Musical-Tanzchoreografie auflösen. Man könnte das für eine Verharmlosung halten, es führt aber dazu, dass die Szene durch diesen frappierenden Widerspruch zwischen Inhalt und Form noch viel mehr reinhaut.

Als Zuschauer:in kann man gar nicht anders, als sich damit auseinanderzusetzen. Und diese Widerhaken werden zu Vorboten eines langsamen aber stetigen Weges zu weiblicher Selbstermächtigung.

Anke Sterneborg, rbbKultur